Amélie Nothomb: Die Kunst, Champagner zu trinken

Alkohol kann schon mal die Sinne vernebeln. Aber einen Orgasmus auslösen? Das zumindest samt Halluzination suggeriert die belgische Schriftstellerin Amélie Nothomb in ihrem neuen Roman „Die Kunst, Champagner zu trinken“. Rausch war ja mal eine antike Praxis, elitär und zu unrecht vulgär in Verruf geraten. Auf der Suche nach einer Saufkumpanin, welche die Vorliebe für das alle Sinne hochfahrende Elixier teilt, gerät Amélie Nothomb, die sich selbst auftreten lässt, an die viel jüngere Schriftstellerin Pétronille. Die erweist sich – beschäftigt mit einer Doktorarbeit über Shakespeares Zeitgenossen – überdies als belebende Gesprächspartnerin. Man trifft sich in unregelmäßigen Abständen, sogar mal zum Skifahren, das perlende Getränk immer griffbereit, akrobatisch balanciert und getrunken während der Abfahrt (Pétronille), worüber die Amélie Nothomb im Roman nicht schlecht staunt. Diese Szene ist nur eine unter den witzigen Begegnungen und Dialogen. Sie inhaliert bereits das tollkühne Gift, das Nothombs Roman aus der Leichtigkeit des rein unterhaltsamen Lesens in die puderige Wirklichkeit handfester Identitätskrisen und Konkurrenzkämpfe hebt. Gut, dass es in solchen Fällen Freundschaften wie die hier geschilderte gibt: distanziert, weil man nicht alles voneinander weiß und Gejammer über enttäuschte Lieben etwa gänzlich ausgespart ist; dabei aber doch von einer seltenen Intimität, wie sie manchmal auf Pflegestationen zu finden ist. Pétronille, ein linkspolitisch engagiertes Kind kommunistischer Eltern, setzt sich schon mal zum Pinkeln zwischen Autos, von Amélie geschützt, die so was nicht kennt, weil vornehmer aufgewachsen. Bald mag sie auf die neue Freundin nicht mehr verzichten. Aber die geht eigene Wege, sogar für Monate in die Sahara. Die erfolgreiche Ältere soll derweil ihr Netzwerk bemühen und Pétronilles‘ Meisterwerk zur Veröffentlichung bringen. Erfolg scheint der jederzeit frech auf Augenhöhe konternden Intellektuellen aus der Pariser Banlieue schnurzegal; wie ihr überhaupt Etikette erfrischend wenig gilt. Spätestens hier erweist sich dieser schmale, feine Roman als Feier der Kontraste und der Leidenschaft an sich. Jenseits rauschhaft erlebter Beziehungen aller Art ragt er wie eine sprudelnde Säule heraus und erzählt von Lust und Leid der Abhängigkeit im Allgemeinen. Er tut das auf solch charmant-nebensächliche Weise, dass man sich gefahrlos darauf einlassen kann – um am Ende erstaunt festzustellen, wie tief man hineingeraten war.

 

Amélie Nothomb: Die Kunst, Champagner zu trinken. Diogenes Verlag, Zürich 2016. 144 Seiten, 20 €.

erschienen in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, 2016