Christine Lavant: Das Wechselbälgchen

Ein vor Jahren erschienenes Postkartenbuch zeigt die österreichische Schriftstellerin und Künstlerin Christine Lavant in verschiedenen Zusammenhängen. Man sieht die 1915 in Kärnten geborene Dichterin oft mit einem Kopftuch und tiefen Augenringen, die der mit ihr befreundete Künstler Werner Berg in einem Holzschnitt extra betonte, so dass Christine Lavant darauf fast so gespenstisch aussieht wie eine Figur von Edvard Munch. Am eindrucksvollstens aber ist eine Fotografie, auf der sie gar nicht zu sehen ist, nur ihr Schlaf- und Arbeitsraum im Hause der Freundin, bei der sie immer wieder wohnte, wenn sie nicht gerade im Krankenheim war. Man sieht ihr mit einer Wolldecke überworfenes Bett, auf dem Nachttisch eine große Packung der Zigarettenmarke, die sie rauchte, Bücher und eine einstielige Blume – und im Vordergrund eine große Schale, in der Strickzeug liegt. Wenn man weiß, dass Christine Lavant ihren Lebensunterhalt mit Stricken zu verdienen versuchte, erhält diese Strickarbeit im Zentrum des Bildes eine besondere Bedeutung. Und als sie dann mit Preisen gewürdigt wurde – unter anderem erhielt sie 1954 den Georg-Trakl-Preis und 1970 den Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur – war das Stricken gleichwohl Symbol für das eiserne Ringen einer Autorin, die immer wieder vergessen zu werden droht.

Bei Suhrkamp konnte man Christine Lavant, geborene Thonhauser, 1987 mit Gedichten entdecken. Thomas Bernhard zeichnete als Herausgeber, der schrieb: „Es ist das elementare Zeugnis eines von allen guten Geistern mißbrauchten Menschen als große Dichtung, die in der Welt noch nicht so, wie sie es verdient, bekannt ist.“ Er meinte wohl die Armut, auch ein Leben mit Krankheiten, welche die Autorin begleiteten – Skrofeln, Lungentuberkolose, eine Mittelohrentzündung, worunter sie fast erblindete und ertaubte. Er muss aber auch die eigenwillige Sprache im Blick gehabt haben, Zeilen wie diese: „Während ich, Betrübte, schreibe, / funkelt in der Vollmondscheibe / jenes Wort, das ich betrachte, / seit die Taube mich verlachte, / weil ich aus dem Wasserspiegel / ohne Namen, ohne Siegel / in die Einschicht trat. / Wäre nicht die Saat / der Betrachtung groß geworden, / müßt ich Mond und Taube morden, / die mich ständig überlisten / und in meinem Schlafbaum nisten, / der davon verdorrt.“

Der Salzburger Otto-Müller-Verlag brachte einiges heraus. Inzwischen kümmert sich der Göttinger Wallstein Verlag um den Nachlass der 1973 gestorbenen Autorin und startet mit einem ersten Band, der die Lyrikerin als kraftvolle Erzählerin entdecken lässt: „Das Wechselbälgchen“ muss um 1945 entstanden sein und wurde erst 1997 im Archiv entdeckt, 1998 erstpubliziert. Die Ausgabe ist seit längerem vergriffen. Nun gibt es eine kommentierte Neuausgabe der Erzählung: Eine archaische, aus dem kargen Kärnten herausgemeißelte Parabel über das traurige Schicksal von Zitha, einem geistig zurückgebliebenen Mädchen, das uneheliche Kind einer Bauernmagd, die im katholischen und abergläubischen Milieu nicht Fuß fassen kann.

Die Erzählung führt tief hinein ins abgeschottete Lavanttal, das im selbst gewählten „Decknamen“ der Autorin anklingt. Als eines von neun Kindern, von denen zwei früh starben, wuchs Christine Lavant hier auf, der Sonne wegen oft gelagert auf dem Fensterbrett, von wo sie alle Gespräche verfolgen konnte. Die Mutter war im Dorf eine Art „Beichtiger“, wie Lavant schreibt. Man lud alle Probleme bei ihr ab, und sie „verwandelte“ alles mit einer „strahlenden, fast übermütigen Demut“. Diese Erfahrung, außerdem das eigene Kranksein mögen Christine Lavant inspiriert haben, das ganz andere Schicksal der einäugigen Bauernmagd Wrga und ihres hinterm Ofen hausenden, abgeschobenen, schwachen Kindes literarisch zu formen. Es schlägt einem dunkel entgegen wie eine uralte Sage, mit stark überzeichnetem Personal, dem Knecht „von den gläsernen Grenzbergen“ aus dem slowenischen Teil Kärntens, der in fremder Sprache flucht und immer einen Abwehrspruch auf den Lippen hat; mit der Magd, die hellauf lacht, bis man ihre „Schelchzähne“ sehen kann. Lavant nutzt Dialekt ebenso wie fremdklingende Wörter, „Saukaschpel“ für Schweinetrank oder die „Truta-Mora“ für den weiblichen Druckgeist, der sich nachts auf die Brust der Schlafenden setzt und den Atem nimmt. Und so entsteht aus diesen Elementen eine magische, irrationale, dörfliche Kapsel mit eigenen, gnadenlosen Gesetzen. Man kann diese Erzählung, wie Klaus Amann im Nachwort schreibt, als „Parabel über die Besessenheit“, die Vernichtung ‚unwerten‘ Lebens im Nationalsozialismus, lesen. Sie wirkt zugleich zeitlos und rau, sehr direkt, stringent komponiert und entwickelt einen sonderbaren Sog.

 

Christine Lavant: Das Wechselbälgchen. Erzählung. Neu herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Klaus Amann. Wallstein Verlag, Göttingen 2012. 104 Seiten, 16,90 €.

 

erschienen in der  FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG, 2012